1. Blick ins Buch
Prolog
16.04.1746
Die Rufe der Trommeln und Dudelsäcke hallten über die weite Ebene von Culloden Muir. Kendrick MacPherson ließ seinen Blick über die endlos erscheinende Fläche schweifen.
»Bedenke, was du tust«, hatte eine Alte des fahrenden Volkes vor nicht einmal einem halben Jahr zu ihm gesagt. »Jede deiner Taten führt dich näher an den Abgrund und nur du allein kannst verhindern, dass du stürzt.«
War dies hier der Tag, an dem er stürzen würde? Würde er jetzt so enden wie Alexander?
Sein Freund hatte damals ihre Warnung völlig ignoriert und auch auf ihn hatte Alex nicht hören wollen. Kurz darauf war er von den Rotröcken gefangen genommen und hingerichtet worden. Was anschließend mit seiner Leiche geschehen war, wusste nur Gott allein, denn sie war einfach verschwunden und niemand kannte ihren Verbleib.
War das auch sein Schicksal? Dass man ihn irgendwo wie einen räudigen Hund verscharrte und ihn schnell vergaß, so als hätte er niemals existiert?
Seitdem war viel geschehen. Viel zu viel für seinen Geschmack. Der ganze Aufstand, für den sie damals im Auftrag Donald Camerons, des Lairds des Cameron-Clans, Männer hatten rekrutieren sollen, war inzwischen im Grunde genommen zu einer Farce geworden. Jedenfalls, seitdem der Prinz auf Berater hörte, die anscheinend nichts vom Kriegshandwerk verstanden. Damals, als er mit Alex über Cameron-Land geritten war, um die dort lebenden Männer vom Vorhaben des Lairds zu begeistern, hatte er zwar schon seine Zweifel gehabt, aber wenigstens die Hoffnung, dass sich mit einem Stuart auf dem Thron einiges ändern würde. Mittlerweile erschien ihm das alles jedoch so lange her, als wäre bereits ein Menschenleben vergangen und nicht bloß ein halbes Jahr.
Seinerzeit war Charles Edward James Stuart, der »Bonnie Prince«, wie seine treuen Anhänger ihn liebevoll nannten, aus Frankreich nach Schottland zurückgekehrt, um den Thron, den sein Großvater verloren hatte, zurückzuerobern. Der Cameron war einer der Ersten gewesen, die sich ihm angeschlossen hatten. Kein Wunder! Sollte das Vorhaben des Prinzen gelingen, versprach das nicht nur Ruhm und Reichtum für seine getreuen Mannen, sondern auch reichlich Einfluss und Macht.
Zuerst hatte es auch tatsächlich danach ausgesehen, als könnte er es schaffen. Die Schlacht von Prestonpans war ein triumphaler Sieg für seine Anhänger, die nunmehr als Jakobiten in aller Munde waren. Sie hatten die Engländer dermaßen vernichtend geschlagen, dass selbst seine Zweifel sich nahezu in Luft aufgelöst hatten. Aye, nach der Schlacht hatte er so etwas wie einen Funken Hoffnung in sich gespürt. Hoffnung darauf, dass sich sein geliebtes Schottland endlich von der Knechtschaft der Rotröcke befreien würde.
Der Einmarsch in England und die schnelle Eroberung von Manchester und Lancaster hatten diesen Funken dann in ein Feuer verwandelt. Damals hatte es sich noch so angefühlt, als wären all seine Freunde, die Seite an Seite mit ihm zusammen für ein freies Schottland gekämpft hatten, nicht völlig umsonst in den Tod gegangen. Doch als Charles Edward James Stuart plötz-lich auf Drängen seiner Berater, allen voran General George Murray, den Rückzug befohlen hatte, da hatte es sich angefühlt, als hätte jemand das Feuer mit einem Eimer kalten Wassers gelöscht.
Aye, sie hatten ihren Rückzug in Clifton gesichert und in Falkirk noch einmal gesiegt, aber seitdem war ihre Armee nicht mehr dieselbe. Hunger, Durst, die Kälte und Krankheiten hatten aus den einst stolzen Kämpfern wahre Wracks gemacht. Es grenzte fast schon an ein Wunder, dass überhaupt so viele von ihnen den Weg bis hierher geschafft hatten. Zudem waren einige seiner Mitstreiter nach der gewonnenen Schlacht nach Hause geeilt, um ihre Familien mit der erhaltenen Kriegsbeute zu versorgen, sodass ihnen jetzt eine ganze Reihe fähiger Männer fehlte. Der Nachschub und das von den Franzosen versprochene Geld ließen ebenso nach wie vor auf sich warten. War es da verwunderlich, dass ihm hier und jetzt wieder die Worte der Alten durch den Kopf gingen?