2. Blick in Buch

Auszug aus Kapitel 8

»Atticus!«, in Samiramis Stimme lag blanker Hohn und ein Hass, den er nie für möglich gehalten hätte. »Endlich, nach so vielen Jahren sehen wir uns wieder! Ich hatte schon befürchtet, ich müsste auf ewig auf deine Gesellschaft verzichten. Doch, wie mir scheint, war das Schicksal, mir holt.« Sie kicherte leise. »Wenn ich dich jetzt berühren würde, hätte ich eine wunderschöne Statue. Ich könnte sie, Ehrerbietung des Verräters, nennen. Was hältst du davon?« Atticus schwieg.
»Keine Sorge, ich werde dich in dieser Stellung nicht berühren. Ich mache es dir etwas bequemer. Nicht sehr viel, aber immerhin etwas, doch glaube nicht, dass ich es dir auch leicht machen werde. Du hast mich hintergangen wie noch keiner vor dir. Du hast mir das genommen, was mir zusteht und dafür wirst du büßen.«
Er hörte, wie sie das Podest des Thrones langsam hinab schritt und vor ihm stehen blieb. Dann packte sie ihn bei den Haaren und zog seinen Kopf in die Höhe, sodass er sie ansehen musste.
»Wie du siehst, kann ich es kontrollieren. Wäre doch zu schade, wenn dein wundervoller Körper einen steinernen Kopf tragen müsste. Das wäre die reinste Verschwendung. Obwohl, irgendwie gefällt mir der Gedanke, dass du mit ansehen musst, wie dein Körper unter dir verrottet, weil du nicht mehr in der Lage bist zu atmen.«
Sie ließ ihn wieder los und sogleich zwangen ihn ihre Männer wieder in seine vorige Haltung. »Atticus, Atticus, das hätte ich niemals von dir gedacht.« Sie lief vor ihm auf und ab.
»Als ich dir Silvana damals wie auf einem Tablett servierte, dachte ich, du wärst nur auch so ein verschreckter Bursche, der es mir leicht machen würde. Doch du hast mich überrascht. Nicht im positiven Sinne!«, ihre Stimme erst gefährlich leise und säuselnd, wurde immer schriller und lauter. »Durch dich habe ich ein viertel Jahrhundert vergeudet. Durch dich konnte ich ein viertel Jahrhundert lang meine Aufgabe nicht erfüllen. Ich hasse dich und das wirst du mit voller Wucht zu spüren bekommen.
Und jetzt, da du es geschafft hast, mir ihren Dienst vollkommen zu verweigern, bis auf, …. Du weißt schon was, wird es noch heftiger für dich ausfallen.«
Wieder wurde ihre Stimme gefährlich leise.
»Hast du meine Ataira gesehen? Sicher hast du das. Sie war die erste, die mir bei meiner Aufgabe half und sie gab sich gerne für mich hin. Sie wusste, welche Bürde auf mir lastete und gab mir die Kraft sie zu meistern.«
»Du nennst es Bürde, ich würde es Fluch nennen«, brachte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
»Es ist kein Fluch. Es ist eine Bürde, die ich tragen muss. Sieh dir all meine Nachkommen an. Sie alle tragen dieselbe Bürde wie ich.«
»Nur dass du quicklebendig durch die Gegend stolzierst, während sie …«
»Schweig still”, zischte sie ihm entgegen. »Ich habe dir nicht das Wort erteilt, und wenn du nicht willst, dass dein versteinerter Kopf neben deinem ebenso versteinerten Torso liegen wird, dann schweigst du jetzt. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei meiner Bürde. Meine Töchter wurden nur geboren, um mir zu dienen. Ihre lieblichen Stimmen bewirken das, was meine nicht kann. Sie ziehen jeden in ihren Bann. Es ist das Schicksal der Seeleute, sie zu hören und ihnen zu lauschen. Ich muss es dann nur noch vollenden, um ihnen den Untergang zu bringen. Meine Töchter haben Hunderte von Schiffen in die Meerenge von Alara gelockt, um sie mir zum Geschenk zu machen. Doch du hast mir ein viertel Jahrhundert lang dieses Geschenk verwehrt.
Deine Tochter war auserkoren, eine der schönsten Stimmen unter ihnen zu haben. Sie war auserkoren, die beste aller meiner Töchter zu werden, doch du hast sie mir genommen. Da sie guter Hoffnung ist, war ihre wunderschöne Stimme die reinste Verschwendung. Sie wird nicht mehr lange genug frei sein, um ihrer Aufgabe jemals zu erfüllen. Im Moment kann sie es nicht und nach der Geburt erst recht nicht mehr. Sie wäre bei mir glücklich geworden und hätte ihr Schicksal zufrieden ertragen.«
»Glücklich und zufrieden?« Atticus riss seinen Kopf in die Höhe und versuchte ihr in die Augen zu sehen, doch Samiramis Männer drückten ihn gewaltsam in seine vorherige Position. »Bist du von Sinnen?«
»Was erdreistest du dich? Sagte ich dir nicht gerade eben erst, du sollst stillschweigen?«, wieder ergriff sie seine Haare und wieder zog sie seinen Kopf in ihre Richtung.
»Ich glaube fast, du legst es nur darauf an, dass ich den Befehl gebe, dich zu töten, damit dir das Schicksal deiner Geliebten erspart bleibt.«
»Sie hatte einen Namen.«
»Einen Namen, den ich liebend gerne vergessen würde. Sie war die größte Enttäuschung meines Lebens. In all den Jahren, die sie mir dienen sollte, hat sie weniger als ein dutzend Mal ihre Stimme erklingen lassen und beim letzten Mal hat sie dich auch noch vor mir gerettet. Du hättest einen so stattlichen Krieger meiner Armee abgegeben. Und es wäre mir eine Freude gewesen, dich in mein Bett zu holen.«
»Du schläfst mit ihnen? Das ist widerlich!«
»Ist es nicht!«
»Sie sind lebende Tote! Das ist unnatürlich!«
»Was unnatürlich ist, bestimme ich. Sie sind die Einzigen, die ich in meiner Nähe ertragen kann. Ihr Herz wird nicht mit überflüssigen Gefühlen geflutet, die mich dabei nur ablenken würden. Außerdem sind sie mir nur so lange gefällig, wie sie noch einigermaßen menschlich sind. Aber, warum erzähle ich dir das überhaupt? Ich habe keinerlei Grund mich vor dir rechtfertigen zu müssen.« Sie hielt einen Moment inne.
»Du hast mich in meiner Rede unterbrochen, noch ein Grund, aus dem du büßen wirst. Wo war ich noch gleich stehen geblieben? Ach ja, bei deiner liebreizenden Geliebten, die dich mir wegnahm. Sie wollte nicht, dass ich ihr einen Gefährten suche, nein, sie wollte gar keinen. Dann ihr Entschluss, niemals bei einem Mann zu liegen, um ein Kind zu empfangen. Zu meinem Glück kamst dann aber du und ich sah meine Chance gekommen, denn ich wusste, dass sie dich wollte. Ich dachte mir, gut, wenn ich ihn nicht haben kann, dann soll sie ihn bekommen, damit er letztendlich doch wieder mir gehört.
Vielleicht war es so sogar noch besser, denn jetzt wirst du mir auf ewig gehören. Und wieder einmal nahm das Schicksal seinen Lauf. Doch noch immer versuchte sie, es mit allen Mitteln zu verhindern. Es freut mich nur, dass ihr ach so gut durchdachter Plan gescheitert ist, denn sie konnte weder dich noch ihre Tochter retten. Ihr Schicksal wird es sein, mitzuerleben, was mit Euch beiden geschieht und ich versichere dir, dass noch keiner vor Euch so gelitten hat.«
»Lass Saphira aus dem Spiel, sie trägt die geringste Schuld an unserem Vergehen.«
»Ich weiß! Aber, da sie vollkommen ahnungslos ist, wird sie ihre Vorbestimmung nicht so einfach ertragen können, wie alle anderen vor ihr. Sie wird sich noch mehr sträuben, als ihre Mutter. Doch ihr Ende ist bereits besiegelt und ich bin mir sicher, dass Ihr beide, du und Silvana es sehen werdet. Es wird Euch innerlich zerstören, aufzehren und zerfressen, wie Maden einen Kadaver. Eure Trauer und Euer Elend aber werden dafür sorgen, dass ich zu neuer Jugend erblühe.«
Wieder ließ sie seinen Kopf los und wieder drückten ihre Schergen ihn auf den Boden.
»Armer Atticus, ich kann schon jetzt deine Verzweiflung spüren, obwohl du dir so große Mühe gibst, sie vor mir zu verbergen. Siehst du den Boden unter dir und all diese wunderschönen Wände. Sie erstrahlen in dem weißesten Weiß. All diese Schönheit konnte nur geschaffen werden durch meine treuen Nachkommen. Weißt du, woraus mein Palast geschaffen wurde? Es sind die zermahlenen Knochen all derer, die durch mich ihren Tod auf dieser Insel hier fanden.
Doch in den letzten Jahren waren es nur eine Handvoll, von einem Schiff, das sich zufällig in die Meerenge verirrt hat und ihre Knochen waren für die Fertigstellung meines Palastes nicht geeignet. Sie taugten nur als Krieger meiner Armee. Doch all jene, die durch den Gesang meiner Töchter auf diese Insel kamen, sind wundervolles Baumaterial. Ihr Fleisch verwest in der gleißenden Glut der Sonne. Ich lasse sie dort liegen, bis nur noch ihre weißen Gebeine übrig sind. Doch in ihren Gebeinen steckt nach wie vor ihre Seele. Durch den Gesang meiner Töchter wird sie in ihren Knochen gehalten. Wie ihre Körper geraten auch ihre Seelen in einen Bann, dem sie nicht entkommen können. Sie verfaulen, doch sie können ihren verrottenden Körpern nicht entkommen. Ich höre sie um Gnade flehen, doch ich stelle mich taub. Sie erleiden unendliche Qualen, doch genau diese brauche ich zum Überleben. Wenn ihre Knochen ihre volle Reinheit erlangt haben, dann lasse ich sie zermahlen und sie werden zu einem Bestandteil meines Palastes. Siehst du die leuchtenden Punkte auf dem Boden? Sicher siehst du sie, du musst sie ja anstarren.« Samiramis brach in schallendes Gelächter aus. »Diese Punkte sind ihre Seelen. Wenn ich sie in Frieden lasse, dann leuchten sie blau. Das bedeutet, dass sie momentan nichts fühlen, außer vielleicht der irrigen Hoffnung, mir doch irgendwann entkommen zu können, doch wenn ich sie berühre und sei es nur durch meine Schritte, dann erstrahlen sie in ihrem roten Licht. Ihre Gefühle brechen aus ihnen heraus, wie Vulkanasche aus einem Krater. Ihnen wird bewusst, dass ihre Hoffnung vollkommen unbegründet ist, dass sie auf ewig gefangen sind und mir allein gehören. Sie winden sich geradezu in ihren Käfig, der vormals ihre sterbliche Hülle war. Sie schreien und kreischen. Sie flehen mich an, doch all ihre Bemühungen sind vergebens.
Dieser Palast ist ein Teil von mir und damit sind auch sie ein Teil von mir. Ich brauche sie, wie die Normalsterblichen die Luft zum Atmen. Sie sind meine Nahrung und du hast mich dazu gezwungen, ein viertel Jahrhundert lang zu hungern. Wie würdest du dich fühlen, erginge es dir ähnlich? Wie lange könntest du wohl ohne Nahrung existieren? Ein viertel Jahrhundert wäre für dich zu lang. Aber wie wäre es mit ein paar Tagen oder Wochen, damit du dir der Grausamkeit deiner Tat bewusst wirst?«
»Welche Grausamkeit? Grausam bist doch nur du!«
»Ich und grausam?«
»Wie würdest du es denn sonst nennen? Du labst dich an dem Elend all derer, die du in deine Falle lockst. Du verschaffst dir ein ewiges Leben, indem du deine Töchter leiden lässt. Ist das keine Grausamkeit?« Wieder zog sie ihn an den Haaren hoch, doch dieses Mal, versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige.
»Genug ist genug! Auch meine Geduld hat ein Ende. Ich werde dich noch lehren, was es heißt, grausam zu sein, denn du wirst es noch früh genug zu spüren bekommen. Weißt du, was eigentlich das Beste an der Sache ist, die Silvana und du ausgeheckt haben? All meine anderen Töchter haben sich mit ihrer Lage abgefunden. Sie erdulden stillschweigend ihr Schicksal. Doch nicht so Silvana. Sie fügt sich nicht in ihr Schicksal. Sie wehrt sich noch immer dagegen. Sie leidet tödliche Qualen, doch der Tod wird sie niemals finden, denn sie gehört mir.
Alleine ihre Weigerung ihr Los zu ertragen, hat mir die Kraft gegeben, die letzten Jahre zu überstehen. Sie hat mir die Nahrung gegeben, die ihr mir eigentlich verweigern wolltet. So hat sie allein mein Überleben gesichert und dafür gesorgt, dass ihr eigener Plan fehlgeschlagen ist. Ihr beide werdet mir auch die Zeit überbrücken, die Saphira benötigt, um ihr Kind auszutragen. Dann werdet ihr Drei dafür Sorge tragen, dass ich auch die Zeit überstehe, die Saphiras Tochter benötigt, um zu einer Frau heranzureifen. Und schließlich wird sie ihre Aufgabe zu erfüllen wissen. Vielleicht ist mir sogar das Glück so gewogen, dass ich den Vater der Kleinen ebenfalls in meine Hände bekomme, damit ich meine Sammlung vervollständigen kann«, sie brach in schallendes Gelächter aus.
»Aber, mein lieber Atticus, wie schon gesagt, das alles wirst du ja mit deinen eigenen Augen sehen und bald am eigenen Leib spüren. Schafft ihn in die große Halle!«

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